Ein Internetroman von Leonard Lassan und anderen

Bennis Jahrzehnt der genutzten Chancen

Die 70er Jahre begannen mit einem sehr kalten Winter. In Dortmund war es zwar normalerweise etwas wärmer als im weiter östlich und etwas höher gelegenen Dringenberg, aber selbst hier war es zum Jahreswechsel eisig kalt. Wie alle Kommilitonen fuhr auch Benedikt über Weihnachten nach Hause, nur nicht die iranische Kollegin Jila. Fürsorglich, wie die Chemiker waren, fragten sie, ob sie sich nicht zwischen den Tagen mit Ramzi, einem Assistenten der anorganischen Chemie, verabreden könne, damit sie nicht so allein sei. Das aber lehnte sie brüsk ab mit dem Argument, dies sei ja ein Iraker und mit denen wolle eine Iranerin nun wirklich nichts zu tun haben. Und so wurde Benni schon im Alter von gerade 18 Jahren Zeuge der Aversionen der Völker in Nahost.

Die Ausbildung an der Universität in den ersten zwei Semestern war anorganische Chemie und im ersten Semester die qualitative Analyse. Daneben gab es eine Reihe von Vorlesungen. Besonders verhasst bei den Chemikern waren Mathematik und Physik. Die Physikvorlesungen mussten noch in Bochum gehört werden und kaum einer der Chemiker verstand sie.

Die meiste Zeit verbrachten die Chemiker mit der Arbeit im Labor, was den Zusammenhalt der Gruppe sehr förderte, andererseits aber dazu führte, dass Benni sich das Rauchen angewöhnte, denn die Raucher trafen sich auf der Treppe in geselliger Runde, da das Rauchen im Laborbereich verboten war. Diese Praktikumsarbeit zog sich bis kurz vor Ostern hin, also fast bis zum Beginn des Sommersemesters.

Kurz nach Ostern erhielt die Familie Furstpaul dann auch das heißersehnte Auto, einen diamantblauen VW1300 mit ganzen 40 PS. Das Auto wurde von einem Werksangehörigen für 4300 DM gekauft und am Weißen Sonntag in Wolfsburg abgeholt. Vater Heinrich hatte also dem Drängen der Kinder nachgegeben. Das Fahrzeug wurde als Familienfahrzeug genutzt, gelegentlich durfte Benni auch damit nach Dortmund fahren, 1971 kam als Fahrer auch Bruder Markus dazu und ab 1973 auch Schwester Annalena.

In diesem Jahr erfolgte auch Bennis Musterung für den Militärdienst. Er hätte zwar wegen seinem Faible für Kettenfahrzeuge gerne in einer Panzereinheit gedient, war jedoch aufgrund seines Sehvermögens untauglich und sehr zur Freude seines Vaters wurde auf die Einberufung verzichtet.

1969 hatte die SPD mit der FDP, die von Walter Scheel geführt wurde, eine Koalition gebildet und Willy Brandt zum Bundeskanzler gewählt. Für Leistungsempfänger nach dem Honnefer Modell bedeutete dies, dass nach dem neuen BAFöG, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nunmehr 400 DM pro Monat gezahlt wurden und zwar das ganze Jahr über, auch in den Semesterferien. Das BAFöG wurde ein Jahr später dann auf 430 DM erhöht. Im Studentenwohnheim, in dem Benni wie viele seiner Kommilitonen wohnte, betrug die Miete 90 DM pro Monat, so dass es doch noch für regelmäßige Kneipenbesuche ausreichte

Das Sommersemester 1070 war der quantitativen Analyse gewidmet und ab Juli gab es erstmals Ferien, von denen aber ein großer Teil mit Arbeit in der nahegelegenen Fabrik verbracht wurde. Es reichte sogar für einen knapp 2-wöchigen Campingurlaub an der holländischen Nordsee, und dort konnte man verspüren, dass noch nicht alle Niederländer den deutschen Nachbarn die NS-Zeit verziehen hatten.

Im September 1970 verliebte sich Benni endgültig in die rotblonde Marika, die er bereits ein Jahr vorher kennengelernt hatte. Sie wohnte in Hamm, nur 40 km von Dortmund entfernt und die Sonntage bestanden nun aus einem Besuch bei der neuen Freundin, üblicherweise verbunden mit einem Diskothekenbesuch. Mehr als ein Getränk pro Nachmittag konnten sich die jungverliebten allerdings nicht leisten. Dann ging es wieder nach Dortmund und bereits im September waren die Vordiplomprüfungen in Physik und Anorganischer Chemie. Während die Prüfung in Chemie problemlos lief, war die Physikprüfung eine ziemliche Blamage, obwohl das Thema nur das Ohm’sche Gesetz war. In dieser Zeit fiel Benni auch durch die erste Klausur in Mathematik, bestand aber die Wiederholung souverän.

Das Studium bestand nun aus Vorlesungen in organischer und physikalischer Chemie und dem Praktikum in organischer Chemie, in dem chemische Substanzen mit möglichst guter Reinheit hergestellt werden mussten. Vor allem beim Thema Arbeitssicherheit waren aber Mängel zu vermelden, es gab Schnittverletzungen, Brände und Verätzungen, zum Glück kam niemand ernsthaft zu Schaden. Nach dem 2. Semester lichteten sich auch sichtbar die Reihen der Chemiestudenten, da für einige das Studium doch zu mühselig war.

Das Jahr 1970 endete für Benedikt also durchaus erfreulich, ein Fahrzeug zur persönlichen Mobilität, eine feste Freundin, ein erfolgreiches Studienjahr und ein finanzielles Auskommen. Die Jahre 1971und 1972 verliefen ohne große Veränderungen und ziemlich unspektakulär, Ende 1971 legte er das Vordiplom ab und fiel beinahe durch die Prüfung in Physikalischer Chemie, 1972 gönnte er sich mit seinem Bruder und zwei Freunden einen zweiwöchigen Urlaub an der Costa Brava und flog erstmalig mit dem Flugzeug. Sein Bruder Markus hatte 1971 ebenfalls Abitur gemacht und begann im Herbst des Jahres sein Studium in Mathematik an der Universität Münster. Ab dem Herbst 1972 nahm Benedikt eine Stelle als nebenamtlicher Chemielehrer an seinem ehemaligen Gymnasium in Heerse an, wodurch sich seine finanzielle Situation nochmals verbesserte. Im Jahr 1973 gab es dann doch wieder Veränderungen, auch das Nesthäkchen Annalena machte mit 18 jähren Abitur, was Vater Heinrich kaum für möglich gehalten hatte. Auf der Feier anlässlich ihres Abiturs endete nach 3 Jahren auch Benedikts Zeit als Raucher. Im Sommer 73 kaufte sich Benni für 2300 DM ein kleines Motorrad, eine 125-er Yamaha mit Zweitaktmotor. Dieses Gefährt fiel aber eher durch Unzuverlässigkeit und Pannen auf. Vater Heinrichs Skepsis gegen Produkte aus dem Ausland wurden eindrucksvoll bestätigt. Auch im Jahr 1973 gab es einen kurzen Urlaub, es ging mit dem Auto nach Jugoslawien. Über völlig überfüllte Straßen und Campingplätze quälten sich die Freunde mit 3 Fahrzeugen bis Zadar. Dort waren immerhin das Essen und der Alkohol billig und das Meer war warm. In diese Zeit fiel auch der Jom Kippur Krieg und die vier autofreien Sonntage im Dezember 1973.

Im Studentenwohnheim lebten nun viele Nationalitäten nebeneinander. Es gab Iraner, Iraker, Pakistani, Vietnamesen und noch andere Nationalitäten. Der Jom Kippur Krieg war besonders für die Araber ein Reizthema, sie regten sich ungeheuer über Israel und die Bildzeitung auf. Reizfigur für die jungen Iraner war der Schah, und sein baldiges Ende wurde herbeigesehnt. Dies trat dann auch ein, aber ob der darauf folgende fundamentale Islam im Sinne der jungen Iraner war, war am Ende nicht klar.

Im Studentenwohnheim war das Zusammenleben friedlich und freundschaftlich. Es gab zwar manchmal etwas Ärger über die Sauberkeit in der Küche und in den Toiletten, doch normalerweise traf man sich regelmäßig abends und feierte in friedlicher Runde. Im Jahr 1973 gab es dann doch ein Problem. Es war ein neuer Bewohner eingezogen, Hans. Er wirkte zunächst umgänglich und kontaktsuchend, doch auf den abendlichen Feiern trank er meist zuviel Alkohol und wurde danach aggressiv, was dann doch zu Ablehnung führte. Hans hatte ein besonderes Schicksal erlitten. Er war in der DDR aufgewachsen und über die Handelsmarine in den Westen geflohen. Dort hatte er unter Alkoholeinfluß einen Autounfall verursacht , bei dem ein Beteiligter zu
Tode kam und er daraufhin eine Gefängnisstrafe absitzen mußte. Das begonnene Studium war also ein Neuanfang, allerdings vereinsamte Hans im Studentenwohnheim. Über Ostern 1973 unternahm er einen Selbstmordversuch, wurde gerettet, doch der zweite Versuch an Pfingsten war erfolgreich. Dies gab an der Uni einen Skandal, es wurde eine Versammlung einberufen, an der sogar der Rektor teilnahm. Vor allem die aktiven jungen Damen beklagten sich bitterlich über die Vereinsamung und Vermassung des Studienbetriebes und gaben der Universität und deren Organisation eine Mitschuld. Benedikt konnte dies nicht ganz verstehen, er empfand das Leben
im Studentenwohnheim als angenehm und gesellig und das Studium hatte für ihn den
Hauptzweck, der in Kindheit und Jugend erlebten Armut zu entkommen.

Vater Heinrich arbeitete bis zum 30 September 1976, litt aber in der Rentnerzeit sofort unter Gesundheitsproblemen. Immerhin besuchte er noch einmal mit seiner Tochter Annalena die Orangenfarm in Tunesien, auf der er 4 Jahre als Kriegsgefangener gearbeitet hatte.

Am 3. Dezember, dem 23. Geburtstag von Robert Beckmann legte Benni zusammen mit Robert den letzten Teil der Diplomprüfung ab und entschied sich, genauso wie er, die Diplomarbeit im Lehrstuhl für Organische Chemie zu machen. Das Jahr endete mit der üblichen Silvesterfeier im heimischen Dringenberg und bereits in den ersten Januartagen 1974 wurde mit der Diplomarbeit angefangen. Der Lehrstuhlinhaber der Organischen Chemie war Prof. Wilhelm P. Neumann, als weiteren Betreuer gab es Dr. Hans-Joachim Albert.

Das Thema war für Benni nicht sonderlich attraktiv, es gab aber nunmehr eine Entlohnung als studentische Hilfskraft, allerdings fiel das BAFöG bald darauf weg. Der Lehrstuhl von Prof. Neumann war für universitäre Verhältnisse straff organisiert, es mussten regelmäßig Arbeiten übernommen und Urlaub vorher eingereicht werden. Prof. Neumann war ein freundlicher, liberal denkender Mensch, der immer fair zu seinen Studenten war und der verständliche, sorgfältig vorbereitete Vorlesungen hielt.

Im Sommer 1974 fand auch die Fußball Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Die hochgehandelte deutsche Mannschaft verlor allerdings ihr Spiel kläglich mit 0:1 gegen die DDR. Für viele sah es wie eine Art Arbeitsverweigerung aus mit dem Ziel, für die Spieler höhere Prämien zu erstreiten Benni war bis dahin Fußballfan gewesen, mit der WM kippte aber trotz Titelgewinn seine Fußballleidenschaft, zumal das Endspiel mehr als glücklich gegen die Niederlande gewonnen wurde.

Zur gleichen Zeit fand auch die Nobelpreisträgertagung in Lindau statt und auf Geheiß von Prof. Neumann hatten alle Diplomanden daran teilzunehmen. Bennis Diplomarbeit war Anfang November fertig und wurde für ihn enttäuschend beurteilt. Eine Zeitlang spielte er mit dem Gedanken, das Chemiestudium mit dem Diplom aufzugeben und stattdessen nochmal Medizin zu studieren. Dies wurde von ihm aus guten Gründen dann aber wieder verworfen.

Im Herbst 1974 kaufte sich Benedikt auch ein eigenes Auto, einen ein Jahr alten Kadett B mit immerhin 54 PS und einer heizbaren Heckscheibe und Gebläse. Dieser Wagen hatte allerdings einen Choke, wenn man bei kaltem Motor losfuhr und an der nächsten Ampel anhielt, heulte der Motor ganz entsetzlich auf, und wenn man den Choke wieder einschob, würgte man das Fahrzeug beim nächsten Anfahren ab.

Freundin Marika war mittlerweile ebenfalls nach Dortmund gezogen und wohnte in der Nähe der Stadtmitte auf einem möblierten Zimmer. Die Sanitäreinrichtungen teilte sie mit 2 anderen jungen Damen. In den letzten 2 Monaten des Jahres begann Benedikt mit Orientierung zum Thema Doktorarbeit. Am Lehrstuhl von Prof. Neumann wurde nur der Rahmen der Doktorarbeit vorgegeben, innerhalb dessen man sich sehr frei ein eigenes Thema suchen konnte, das man dem gestrengen Chef allerdings schmackhaft machen musste.

Im Gegensatz zu Bruder Markus, der im Dringenberger Blasmusikverein aktiv war, war Benni ein Liebhaber von Rockmusik. Seine Lieblingsbands waren Cream, Procol Harum, die Byrds, Chicago, Jimi Hendrix und Jethro Tull Mehrfach besuchte er in den 70ern die immer großartigen Konzerte von Jethro Tull.

Die Jahre 1975 und 1976 waren wieder unspektakulär. Im Jahr 1975 bekam Benni von Mai bis Dezember sogar kurzfristig eine Stelle nach BAT 2a aus Forschungsmitteln mit gut 2000 DM Gehalt, die aber 1976 nicht verlängert wurde und ab Mai 1976 durch eine volle Assistentenstelle ersetzt wurde. Dafür gab er seine temporäre Lehrerstelle zum Ende des Schuljahres 1976 auf. Das Geld reichte für ein auskömmliches Leben auch so.

Barbara, die Freundin seines Bruders Markus, war 1975 plötzlich schwer krank geworden und die Ursache war nicht so ohne weiteres feststellbar. Die Krankheit erwies sich als Multiple Sklerose, zum Glück mit milderem Verlauf, stellte den Zusammenhalt der Familie dennoch auf eine schwere Probe.

Benedikt hatte in dieser Zeit doch deutliches Übergewicht, wog mit seiner Größe von 174 cm ganze 83 kg. Freundin Marika befand, dies sei für die nun bald folgenden Bemühungen um eine Anstellung in der Chemischen Industrie ein eindeutiges Hindernis und so bekam Benni eine Mayo-Diät verordnet, die er von Mai bis August 1977 auch durchhielt. Im Laufe dieser Diät sank sein Gewicht bis auf 68 kg, pendelte sich in der Folge allerdings bei 73 kg ein. Optisch war Benni nun ein ganz anderer Mensch geworden.

Die Fortschritte bei Bennis Doktorarbeit in diesen Jahren waren beachtlich und er wollte nun sein Studium möglichst bald beenden und so begann er Anfang 1977, die bisherigen Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zusammenzufassen. Dieses Zusammenschreiben hatte allerdings von Prof. Neumann selbst angeordnet zu werden und der Professor hatte damit keine Eile, zumal Benni auch im Jahr 1977 noch interessante Ergebnisse erzielte. Insgesamt sechs Kommilitonen aus Bennis Anfangssemester hatten ihre Doktorarbeit Ende 74 angefangen und Prof. Neumann wollte die Promotionen zeitlich etwas auseinanderziehen. Die ersten Prüfungen von Torben und Gustav fanden bereits im Spätsommer statt und Torben war auch der erste, der noch im Jahr 1977 den Dienst bei der Bayer AG in Uerdingen im Bereich Polymerforschung antrat. Das Jahr 1977 war auch das Jahr in dem viele von Bennis Kameraden und Freunden heirateten, auch der ein Jahr jüngere Bruder Markus gab seiner Freundin Barbara im Mai 1977 das Jawort. Am 21. Dezember 1977 endete mit der Doktorprüfung Benedikts Studium der Chemie, ziemlich genau 8 Jahre und 2 Monate später als er im Oktober 1969 in Dortmund angetreten war. Am selben Tag fand auch die Doktorprüfung seine alten Kommilitonen Robert Beckmann statt.

Im Herbst 1977 war Benedikt seines Opel Kadett endgültig überdrüssig. Er hätte sich gern einen Golf GTI gekauft, damals der Traum aller autobegeisterten jungen Männer und mit 110 PS mehr als üppig motorisiert. Freundin Marika überredete ihn jedoch zu einem VW Scirocco in feuerrot, mit 70 PS nicht ganz so schnell doch ihrer Meinung nach irgendwie schöner.

Und mit dem Beginn des Jahres 1978 begann auch die Suche nach einer Anstellung. Mit nicht einmal ganz 27 Jahren war Benedikt wegen der fehlenden Bundeswehrzeit ein ungewöhnlich junger Bewerber, die Zeiten für Chemiker waren aber keineswegs rosig Von den sechs im letzten Halbjahr 77 fertig gewordenen Kollegen hatte außer Torben keiner eine Stelle und so hing Benedikt mit den drei anderen Kollegen seines Jahrgangs die ersten Monate noch am Lehrstuhl herum, von den jüngeren Doktoranden ziemlich despektierlich „Die Viererbande“ genannt. Prof. Neumann tröstete die frischgebackenen Doktoren mit dem Spruch „Die wichtigste Entscheidung Ihres Lebens haben Sie ja schon getroffen, nämlich die, welche Frau Sie heiraten“. Und so wurde für den März 1978 auch schon die Hochzeit festgelegt und eine knappe Woche davor der Polterabend, letzterer mit Livemusik, viel Bier, Dortmunder Hausmannskost und vielen Besuchern aus Dortmund, Dringenberg und sonst woher. Die Hochzeit war eher dem engen Familienkreis vorbehalten und fand am 4. April bei eiskaltem Wetter statt.

Die Stellensuche war ebenfalls angelaufen und eine Woche nach der Hochzeit fand das entscheidende Vorstellungsgespräch bei der Bayer AG statt. Es begann mit einem Vortrag in der zentralen Forschung, der von den Zuhörern, zwei Direktoren aus dem Forschungsbereich wohlwollend kommentiert wurde. Danach folgte ein 2-stündiges Gespräch mit dem Hauptabteilungsleiter Dr. Hauptmann mit vielen Fachfragen, die Benedikt nicht beantworten konnte aber auch zur Schulbildung wobei der Herr Doktor großen Wert auf die humanistische Ausbildung und die Herkunft der Eltern aus Niederschlesien zu legen schien. Die Krönung war dann aber das Mittagessen. Benni und seinen Mitdoktoren war eingebläut worden, bloß keinen Alkohol zu trinken, allerdings war er da bei Dr. Hauptmann an der falschen Adresse. Ihm wurde ein VW, ein Vermouth- Williams aufgenötigt, schon das eine Riesenportion, danach eine halbe Flasche Faustino I. Alles mit der Begründung „Ich will doch, dass sich Ihre Zunge etwas löst, damit ich etwas mehr über Sie erfahre“. Benedikt fuhr zwar etwas beschwipst nach Hause, erhielt aber 2 Wochen später die Zusage, dass er bereits zum 1. Mai 1978 anfangen könne.

Danach war noch ein Besuch in der folgenden Woche in der Personalabteilung und der ärztlichen Abteilung nötig, Benedikt war echt stolz, wie selbstverständlich er mit „Herr Doktor“ angesprochen wurde. Was sein Rang in der Firma allerdings wirklich war, erfuhr er, als er von der ärztlichen Abteilung zurück wollte in die Personslabteilung und versuchte, den Weg innerhalb des Werksgeländes zu nehmen. Sofort wurde er vom Pförtner angefahren „Sie sind doch noch gar kein Werksangehöriger, Sie dürfen doch nicht einfach durchs Werk gehen!“

Als Vater Heinrich bei einem Besuch in Dringenberg nach dem Gehalt fragte und erfuhr, dass Benedikt ein Jahresgehalt von 50.000 DM hatte, wollte er es kaum glauben. Am 31. Mai bezog Benedikt pünktlich mit wenigen Habseligkeiten das von der Firma zur Verfügung gestellte möblierte Zimmer und trat am 1. Juni 78 pünktlich seinen Dienst in der Abteilung „Anwendungstechnik Blockschaum“ an.

Über das Arbeiten in der Industrie gab es an den Universitäten die Ansicht, die Arbeit sei ungemein hart, die Hierarchie streng und der Ton rüde. Nach ganz kurzer Zeit merkte Benedikt, dass eigentlich nichts davon wirklich stimmte. Sein Büro teilte er mit dem 56-jährigen Dr. Müller, der seinen Tag damit begann, dass er sich von seiner Laborantin einen Kaffee kochen ließ und den frisch gekauften Kölner Express las. Das war eine Kölner Boulevardzeitung und seine Frau, gestandene Studienrätin und Leserin der FAZ, durfte davon nichts wissen. Bereits um 9 Uhr war die frühe Kaffeepause, die mit den Kollegen der Schwesterabteilung Formschaum zelebriert wurde und in der es um alles und nichts ging. Der Abteilungsleiter Dr. Wohlland führte meist das Wort und Benni trug stets die neuesten Witze bei. Nach dem Mittagessen folgte dann zunächst die zweite Kaffeepause und frühestens um 13 Uhr wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Spätestens um 17.15 Uhr war die Arbeit normalerweise beendet. Die Anwendungstechnik war auch ein Bereich, in dem sehr viele Dienstreisen ins Ausland getätigt wurden, Benedikts erste Dienstreise führte ihn im November 1978 nach Memmingen im Allgäu zusammen mit seinem direkten Chef Dr. Röhl.

Benedikt hatte mit seiner Frau Marika eine Dreizimmerwohnung im benachbarten Bergisch Gladbach bezogen, zum ersten Mal hatten sie ein Bad mit Doppelwaschbecken, eine separate Küche, ein Gäste-WC und ein kleines Besucherzimmer, ein Paradies gegenüber den bisherigen Wohnverhältnissen. Mit den jungen Kollegen der Blockschaum- und Formschaumabteilung war Benedikt sofort eng befreundet und auch die Frauen verstanden sich gut. Zum Jahresende gab es den großen Jahresabend der PU-Sparte mit launigen Reden, gutem Essen und viel Alkohol. Der zuständige Vorstand nötigte alle geladenen Gäste dazu, ein riesiges Glas Barratsch-Palinka zu trinken. Und so ging 1978 mit den ersten sieben Bayer-Monaten erfreulich zu Ende. Sylvester wurde wieder in der traditionellen Runde in Dringenberg gefeiert. Das Jahr endete mit einem massiven Kälteeinbruch zu Silvester und einer Menge Neuschnee. Am Neujahrstag waren in Dringenberg fast -20 Grad, aber strahlender Sonnenschein. Das beginnende Jahr 1979 war das erste volle Jahr in Bayer-Diensten. Bereits im März machten Benni und Marika drei Wochen Urlaub in Gran Canaria und genossen die neu gewonnene finanzielle Freiheit.

Marika, die gerne eine Zeit ohne Beschäftigung gewesen wäre, fand zu ihrem Bedauern sofort Arbeit bei einem kleinen Gladbacher Unternehmen. Benni war mittlerweile bei Bayer gut integriert und anerkannt, wenngleich sich neue Entwicklungen auf dem Weichschaumgebiet als schwierig herausstellten. Zu dem aufgelaufenen Urlaubsanspruch von 1978 kam nun noch ein voller Jahresurlaub für 1979 dazu und sehr zum Unwillen von Dr. Hauptmann fuhr das junge Ehepaar Furstpaul 1979 gleich zweimal in Urlaub. Im September ging es nach Menorca. Ansonsten verlief das Jahr 1979 ruhig und friedlich und vor Benedikt und Marika lagen die nicht minder spannenden 80-er Jahre.

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